Mittwoch, 13. August 2014

Einen Hund

An manchen Tagen in dieser für mich trostlosen Welt stehe ich am Abgrund und sehe nach unten. Jemand ruft mir zu: „Spring!“  Wie gerne würde ich der Stimme nachgeben und mich fallen lassen, aber ich kann es nicht. Noch nicht. Vielleicht ist es pure Dummheit auf etwas zu warten, was mich nie abholen wird. Einen Auftrag, eine Bestimmung irgendetwas das meinem Leben einen Sinn gibt. Ich schaue ein letztes Mal den Abgrund hinunter und mache mich schließlich auf den Weg zur Arbeit. Wieder ein Tag mehr, an dem ich beschloss, meinem trostlosen Dasein kein Ende zusetzen.
Langsam kehre ich zu meinem Auto zurück. Einen silberfarbenen  Porsche der mich ein Vermögen gekostet hatte. Nur gut das ich mit Geld nur so um mich werfen kann. Als Kind glaubte ich, das Geld alle Probleme lösen könnte. Jetzt weiß ich, umso mehr Geld da ist, umso schwerer ist es, seinen Platz im Leben zu finden.
Meine Eltern mussten jeden Penny umdrehen und ich besitze heute genug davon. Nicht, dass ihr denkt, ich wäre geizig, denn das bin ich nicht. Meinen Eltern kaufte ich ein schönes, gemütliches Haus und zahle ihnen jeden Monat ein Taschengeld, weil die Rente nicht ausreicht. Wie das klingt. [i]Ich zahle meinen Eltern Taschengeld.[/i]
Am Anfang wollten sie es nicht annehmen und ich redete wie ein Weltmeister. Jetzt können sie es sich wahrhaftig gut gehen lassen und das macht mich glücklich. Auch wenn sie dies auf meine Kosten tun. Wer so viel Asche hat wie ich, trägt sehr viel Verantwortung. Möglicherweise sollte ich die Hälfte meines Vermögens spenden. Aber wohin? Wer geht gut damit um und kommt es überhaupt da an , wo ich es für richtig erachte? Ich weiß es nicht. Am Ende ist mein Geld nur futsch, weil so ein blöder, "geldgeiler" Abschaum es sich unter den Nagel reißt. Wenigstens muss ich es mit niemand teilen. Ich besitze keine Firma alles, was ich Mein nennen kann, sind meine Erfindungen. Sie bringen mir meine Moneten ein, und dennoch gehe ich jeden Tag zur Arbeit und lasse mich von meinem Chef herumschupsen. Ich bin ein kleiner, aber reicher Angestellter. Abends kommen mir oft zündende Ideen, über die möchte ich eigentlich nicht reden. Sie verschaffen mir nur noch mehr Geld auf meinem Konto, welches eh schon überfüllt ist. Wenn ich alles abheben wollen würde, müsste ich bestimmt Wochen warten, aber ich glaube nicht einmal dann, könnte ich mein gesamtes Vermögen in Händen halten. Das, was ich besitze, sind nur Zahlen und Nummern. Sie lassen sich nicht auszahlen. Der Betrag ist einfach zu hoch.
Nach langem Hin und Her entschließe ich mich doch, nicht zur Arbeit zu fahren. Meinen Chef stört das nicht, da ich sowieso nur an vier Tagen in der Woche arbeite. Und wenn ich ausfalle, zieht er es von meinem Lohn ab. Ein kurzer Anruf und alles ist geklärt. Nun, da ich über meine Freizeit an diesem Tag frei verfüge, ringe ich mich dazu durch, mein Vermögen etwas schrumpfen zu lassen.
Schlecht gelaunt renne ich durch Boutiquen und kaufe Designerklamotten. Das Problem hierbei ist nur, dass das Geld welches ich ausgebe, im nächsten Monat wieder doppelt auf meinem Konto eingeht. Das geht jetzt schon seit fünf Jahren so und ich komme nicht dagegen an. Vollbepackt mit Tüten schlendere ich zu meinem Porsche, werfe alles auf dem Beifahrersitz und nehme mein Smart Phone zur Hand. Selbstverständlich das neueste I-Phone. Kein Anruf. Außer meinen Eltern ruft eh keiner an. Langsam lasse ich es wieder in meine Jackentasche gleiten und steige in meinen Wagen und fahre los.
Immer mehr Geld und immer weniger Freunde.
Lebenslust verspüre ich schon lange nicht mehr. Und dies ist auch der Grund, warum ich fast jeden Tag auf den Klippen stehe und den Abgrund anstarre. Niemand weiß es, aber ich bin ein verzweifelter Mann, der nicht einmal Mitte dreißig ist. Ich bin zu jung für diese Verantwortung. In meinem alten Freundeskreis brauche ich mich nicht mehr blicken lassen und mit den „Reichen“ möchte ich nichts zu tun haben. Nur meine Eltern sind mir geblieben. Mit ihnen verstehe ich mich noch. Sie sagen mir nicht, ich sei arrogant und abgehoben. Von Frauen halte ich mich fern. Die wollen doch nur mein Geld und würden mich wahrscheinlich wie eine Weihnachtsgans ausnehemen. Die Frau, die es nicht tut, lerne ich erst gar nicht kennen, oder sie verliebt sich nicht in mich. Wobei dasselbe herauskommt. Tag ein Tag aus, lebe ich allein in meiner zwei Zimmer Wohnung. Warum in so einer kleinen Wohnug? Was soll ich mit einem Haus, welches für mich viel zu groß ist und mir Leere verspricht?
Die Einkaufstaschen landen auf meinem Bett. Müde streiche ich mir eine blonde Haarsträhne aus meinem Gesicht und begebe mich in die Küche. Mein Laptop ist noch an, denn den mache ich nie aus. Auf einem Stuhl nehme ich Platz und tippe schnell etwas bei Google ein. Bei der Fahrt hier her, überlegte ich, was mir einen Sinn geben könnte, damit ich nicht immer auf der Klippe stehen muss und meinem tristen Dasein ein Ende zu bescheren. Ein Freund wäre nicht schlecht. Ein Freund, der mich so nimmt, wie ich bin. Dem es egal ist, wie Reich ich bin. Und der beste Freund des Menschen ist - ein Hund.
Genau, ich will mir einen kaufen. Nach vielen surfen, finde ich einen Züchter deutscher Pinscher ganz in meiner Nähe und dieser bietet gerade einen Wurf an. Schnell notiere ich mir die Adresse. Rase aus der Küche, reiße meine Jacke von der Garderobe, werfe die Tür hinter mir zu und flitze die Treppe bis zur Tiefgarage hinunter.
Jetzt stehe ich hier und um mich herum hopsen diese winzigen Geschöpfe. Seit zwei Stunden stehe ich nun auf dem Hof und sehe den Kleinen beim Spielen zu. Ich möchte nicht gehen und die Züchterin bietet mir einen Kaffee an, den ich nicht ablehnen kann. Verzaubert sehe ich den Welpen zu. Etwas Friedliches legt sich um mein Herz. Mein Entschluss treibt mir Tränen in die Augen..
»Sie sind der Erste, der so lange bleibt«, stellt sie freundlich fest.
 Nickend drehe ich mich um und schaue die Frau an. Sie ist schon älter und das blond ihrer Haare wechselt zu einem Grau. Wir setzten uns an ihren Gartentisch und ich nippe an meiner Tasse Kaffee.
»Haben Sie sich entscheiden können?«, fragt sie mich über den Rand ihrer Tasse hinweg und lächelt mich an. Was soll ich ihr sagen?
»Nicht so wirklich«, beginne ich zögernd. »Wissen Sie, ich hatte noch nie einen Hund.«
»Aber das macht doch nichts.«, sagt sie freundlich. »Sie werden sehen, so schwer ist ein Welpe gar nicht. Ich bin auch nicht aus der Welt, falls Sie mal Fragen haben sollten«, bietet sie sich mir an.
Ich nicke und bin in Gedanken bei den kleinen Hündchen, die um uns herum tollen. Möchte ich wirklich so einen temperamentvollen Hund, oder lieber einen ruhigeren?
»Sagen Sie, ist denn diese Rasse für mich überhaupt die Richtige?«
Verständnislos sieht sie mich an und lacht plötzlich.
»Sie sind vielleicht lustig. Sie machen sich viel zu viele Gedanken. Seit zwei Stunden sind Sie nun schon hier und fragen mich, ob diese Rasse die Richtige ist?«
»Allerdings frage ich Sie das. Sie müssen wissen, ich lebe sehr zurück gezogen und fühle mich oft einsam. Also hören Sie auf, sich über mich lustig zu machen!« Ich stehe von meinem Stuhl auf und will gehen. Sie hatte mich verletzt. Ihr Lachen verstummt.
»Warten Sie«, fordert sie mich leise auf und ich drehe mich zu ihr herum.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen, nur warum sind sie seit Stunden hier?«
Sie stellt mir die Frage, auf die ich keine Antwort weiß.
»Es tut mir Leid, das ich gelacht habe. Ich glaube, dass Sie sich einen Welpen aussuchen und mitnehmen sollten. Wenn Sie so einsam leben, wie Sie sagen, wird ein Pinscher Sie wirklich erfreuen.«
Endlich sagt sie das, was ich zu hören erhoffte. So suche ich mir also eine kleine Hundedame aus, bezahle das Geld und steige ins meinen Porsche. Zum Glück ist die Nummer der Züchterin in meinem I-Phone gespeichert. Sollte ich Hilfe brauchen, bei was auch immer, kann ich sie anrufen.
 Das Mädchen nenne ich von nun an Linny.
Linny sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz und sieht mich ängstlich an. Sie zittert. Ich las, dass sich manche Tiere im Auto übergeben. Wenn sie es tut, sorgt sie dafür, dass jemand Geld verdienen kann. Ich lasse meinen Wagen putzen, schließlich müssen andere ja auch davon profitieren, dass ich reich bin.
 Linny scheint das jedoch nicht zu tun. Sie jault stattdessen immer mal wieder, was mich fast zum Weinen bringt. Diese kläglichen Laute stimmen mich traurig. Wie kommt ein dummer Mensch nur dazu, Tiere die eigentlich im Rudel leben, einzeln wegzugeben? Ich entschließe mich in diesem Augenblick, mir ein Haus mit einem mittleren Grundstück zu kaufen. Dort kann Linny dann im Garten herum tollen und ich kann mein Vermögen verkleinern. Wie ich das machen will? Ganz einfach. Ich stelle einen Gärtner ein und bezahle ihn gut. Tolle Idee. Wenn ich zuhause bin, werde ich unverzüglich meine Bank anrufen und mir ein nettes Haus aussuchen. Ich könnte stattdessen eins bauen lassen, aber das traue ich mich nicht und es dauert mir auch zu lange. Mein Porsche jagt über die Autobahn mit 200 km/h. Zum Glück, das nicht viel los ist. Ich freue mich schon darauf mit meinem niedlichen Hund in eine Tierhandlung zu fahren und einzukaufen. Ich brauche schließlich fast alles. Die Züchterin gab mir etwas Futter, ein Spielzeug und eine Decke mit. Eine Hundeleine und ein Körbchen zum Schlafen fehlen. So wie noch mehr Spielzeug. Linny wird bei mir im Schlafzimmer schlafen, genau neben meinem Bett. Ich bin total aufgeregt und freue mich auf die nächsten Wochen. Endlich habe ich gefunden, wofür es sich zu Leben lohnt. Jetzt werde ich auch im alltäglichen Leben gebraucht. Die Klippe und meine Todessehnsucht gehören von nun an der Vergangenheit an. Hoffe ich.

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