Mittwoch, 13. August 2014

Weit ab von der Heimat

Weit ab von der Heimat. Weit weg von daheim.
Schüchtern laufe ich auf dem Flughafen herum und ziehe meinen schweren Koffer hinter mir her. Tja, als Frau verlangt es einem nach vielem. So kann auch ich mich nie entscheiden, was ich wirklich benötige und packe all das ein, was ich bestimmt nicht brauche. Suchend sehe ich mich um. Hier Zeichen, da Zeichen, doch was bedeuten sie? Überall fremde Gesichter, die mit mir keine Ähnlichkeit haben. Dort eine Verbeugung zur Begrüßung. Kein Händeschütteln, keine Nähe. Unsicher stapfe ich von einem Bein auf das Andere bei der Fahndung nach meinem Namen.
»Konnichi wa«, sagt ein Mann neben mir, und wenn ich mich recht erinnere, bedeutet das so viel wie: Guten Tag. Ich grinse ihn an, was mir ein verwirrtes Lächeln einbringt. Seufzend drehe ich mich weg und lasse meine Augen in der Wartehalle umherschweifen.
Habe ich mich schon vorgestellt? Nein. Also, mein Name ist Lisa Meyer und ich komme aus Deutschland. Ich bin 170 cm groß, schlank, und schokobraune Haare fallen mir bis ins Kreuz. Meinen grünen Augen entgeht nicht eine Kleinigkeit, außer heute, wie mir scheint. 
»Haro«, ruft jemand und mir liegt das ‚Hallo‘ auf der Zunge und ich schlucke es schnell hinunter, denn auch diesmal bin nicht ich es, die gemeint ist. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Scheiß Idee, denke ich und schnappe nach Luft. Warum bin ich hier? In einem Land, welches so fremd und eigenartig ist? Das Gruppendenken sagt mir nicht zu. Eigentlich hasse ich Gruppen, und wenn ich nur daran denke, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu müssen, wird mir schlecht. Da läuft es mir eiskalt den Rücken runter.
»Baibai«, verabschieden sich zwei Mädchen in meiner Nähe und gehen in verschiedene Richtungen davon. Wenigsten ist das noch leicht zu verstehen. Es kommt von Bye bye, also aus dem Englischen.
Eineinhalb Stunden warte ich schon und da keiner erscheint, um mich abzuholen, entschließe ich mich, ein Taxi zu nehmen. Also ein ‚takushi‘, so heißt das hier. Dem Fahrer halte ich ein Stück Papier unter die Nase, auf dem die Adresse steht. Fröhlich plappert er drauf los und ich nicke höflich und lasse ab und zu ein ‚Hai‘ von mir hören, was einfach ‚Ja‘ bedeutet. Verstehen tue ich ihn nicht, aber das scheint ihn nicht zu stören.
Bunte Reklame springt mir ins Auge. An den Wolkenkratzern laufen Werbefilme. Nein, ich war noch nie in New York und nein, so etwas habe ich zuvor noch nie gesehen, höchstens im Fernsehen. Stimmt, ich besuche auch nicht den „Big Apple“. Dies hier ist Japan, ein Land, welches für mich nicht exotischer sein kann. Ein Abenteuer wollte ich erleben, aber nicht mit Rucksack und Wanderstock.
Fremde Kulturen und fremde Länder. Mittendrin und nicht nur dabei.
Genau darum entschied ich mich für Bed & Breakfast in Tokyo.
Warum mich mein Gastgeber auf dem Flughafen hat sitzen lassen, weiß ich nicht. Oft und viel schrieben wir über E-Mail, natürlich auf Englisch. Japanisch ist eine sehr schwere Sprache, aber ein wenig setzte ich mich vor dieser Reise mir ihr auseinander. Soll ja keiner sagen, ich könne nicht ein Wort. Vielleicht habe ich das Datum verdreht? Oder ... ach ich weiß auch nicht. Zum Glück schickte er mir die Adresse in der hier angebrachten Schreibweise. Kanji, Hiragana oder Katakana? Lesen kann ich es jedenfalls nicht und möchten tue ich es auch nicht. Viel zu schwer.
Wir fahren an einem Park vorbei und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. So viele Eindrücke gibt es zu verarbeiten, dass mir der Mund offen stehen bleibt. Mir entfährt ein „Wow“, was dem Taxifahrer ein Lächeln entlockt. Nein, nein, er lächelt schon die ganze Zeit, aber dieses wirkt jetzt ehrlich auf mich und nicht aufgesetzt. Vor einem traditionellen japanischen Haus hält er an. Mir bleibt die Spucke weg. Völlig begeistert springe ich aus dem Mazda und hüpfe auf und ab. Schnell gebe ich dem Fahrer sein Geld ohne Tip, denn das gehört sich hier nicht, nehme meinen Koffer, winke noch einmal und begebe mich zur Haustür. Was sich als schwieriger herausstellt als erhofft. Dieser blöde Kasten besitzt keine Rollen, ist so schwer, dass ich ihn kaum tragen kann. Am Flughafen nahm ich mir einen dieser Gepäckwagen, aber hier vor diesem Haus ... Also schleife ich meinen Koffer hinter mir her und ärgere mich, weil ich zu geizig bin, mir einen Neuen zu kaufen.
Ich klopfe, warte und es passiert … Nichts.
»Niemand da«, stöhne ich. Zeit, um das Haus näher zu beschreiben. Ein Holzhaus mit einem Ziegeldach. Die Wände wirken auf mich, als wären sie aus Papier. Wunderschön. Vorsichtig fahren meine Finger über eine der Außenwände, als ...
»Sumimasen« erschrocken drehe ich mich um, und starre ertappt zu Boden. Man ist mir das peinlich.
Ich schlucke, blicke auf, und erkenne meinen E-Mail Partner. Verlegen lächele ich, lege meine Handflächen vor der Brust aneinander und verneige mich. Hoffentlich ist das auch richtig. Nicht, dass die Arme eng an den Körper gepresst werden bei einer Verbeugung. Oh nein, ich mache alles falsch. Hilfe.
»Ah, mayar san hajime mashite«, sagt er und schüttelt verwirrt den Kopf. Heißt er mich jetzt willkommen? Ach verdammt, wieso befindet sich mein Sprachführer noch immer im Koffer? Vorsichtig beginne ich zu stottern: »Ishikawa san d .. dômo arigatô gozaimasu«, und bedanke mich bei ihm. Er nickt erfreut und nimmt meinen Koffer an sich. Auf Englisch entschuldigt er sich mehrmals dafür, dass er mich nicht abholte. Dabei war es mein Fehler gewesen. Irgendwie schrieb ich 01.01 und nicht 31.12. Keine Ahnung, wie mir dies passieren konnte. Hoch auf begeistert betrete ich sein Haus, nachdem ich mir die Schuhe auszog und in die Hauschuhe geschlüpft war. Oh man, ich weiß gar nicht wohin ich blicken soll. Noch mehr Eindrücke prasseln auf mich nieder. Tatami-Matten liegen auf dem Boden und Ishikawa san packt mich am Arm, schüttelt den Kopf, zeigt auf meine Hausschuhe und dann auf die Matten. Da erinnere ich mich gelesen zu haben, dass es tabu ist, auf Tatami mit Schuhen herumzulaufen. Entschuldigend presse ich die Lippen aufeinander und laufe Augenblicke später auf Socken herum. Die Räume sind nur spärlich eingerichtet, nicht wie bei mir zuhause. »Fantajia«, rufe ich und ernte zwei Augen, die mich anleuchten. Erfreut führt er mich durch das ganze Haus. Eine Führung nur für mich. Aus dem dankbar sein, komme ich gar nicht mehr heraus. Normalerweise zeigt er seinen Gästen nicht jedes Zimmer, sagt er mir. Was für eine Ehre. Wenn ich auf Toilette will, muss ich die Schuhe anziehen, die extra dafür bereitstehen. Ob ich mir das merken kann?

Wir sitzen am Tisch, trinken einen Tee zusammen und da nimmt er meine Hand, lächelt mich an und zwinkert. Erst jetzt offenbart er mir, dass ich mit ihm und seiner Familie ein traditionelles Silvester verbringen werde. Mir bleibt die Luft weg und spüre, wie ich erbleiche. Genau dies habe ich mir gewünscht. Darum bin ich hier her gekommen
In Deutschland gibt es Feuerwerk, aber nicht in Japan.
Mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen verschwindet er und kommt Sekunden später zurück. Etwas trägt er vorsichtig auf Händen. Sieht aus wie Stoff.
Plötzlich hält er es mir hin und meint, ich solle es anprobieren. Schließlich müsse er wissen, ob sein Geschenk mir auch passe. Verdattert starre ich den Kimono an. Lauter goldene chinesische Drachen tummeln sich auf einem indigoblauen Hintergrund. Wunderschön. Momentmal sagte er Geschenk? Schwer schlucke ich den Kloß in meinem Hals hinunter und verziehe mein Gesicht schmerzlich. Das, das kann ich doch nicht annehmen. Zögernd nehme ich die Kleidung entgegen und verbeuge mich dankbar. Dabei ist mir danach ihn zu erwürgen. Er legt noch etwas auf den Kimono und sagt: »Obi.«
Ich gehe davon aus, er meint das megalange und breite Teil, was ein Gürtel sein soll. »Hilfe«, schreit es in meinem Kopf. Hilfe, worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Seufzend ergebe ich mich meinem Schicksal und ziehe mich um. Das mit dem Kimono ist einfach, aber wie bitteschön binde ich einen Obi?
Ein hochroter Ishikawa hilft mir am Ende und dann machen wir uns auf den Weg und treffen seine Familie vor einem der unzähligen Tempeln.
Wir schlendern mit Vater, Mutter, Bruder und Schwester von einem Tempel zum Nächsten. Kaufen Amulette und treiben die bösen Geister aus. Zu Essen gibt es geröstete Sojabohnen. Sau Lecker, kann ich nur jedem empfehlen. Spät am Abend kehren wir in das traditionelle Haus zurück. Wir sitzen an einem Tisch, der in einer Mulde versenkt wurde und Wärme spendet. Bei meiner Ankunft fiel mir das nicht auf und jetzt bin ich zu müde. Morgen früh nehme ich mir vor, es genauer zu untersuchen. Bei einem heißen Grünentee lassen wir den Tag ausklingen und reden. Na ja gut. Leider spreche ich noch immer kein Japanisch. Ishikawa übersetzt für mich ins Englische, und wenn ich was sage, für seine Familie ins Japanische. Wenigstens bin ich nicht mehr in einen Fettnapf getreten und weitere Peinlichkeiten blieben mir erspart. Nach Mitternacht verabschieden sich seine Verwandten und wir sind allein. Zusammen räumen wir den Tisch ab und wünschen uns eine gute Nacht.
Bei meinem Waschgang vergaß ich, die Schuhe zu wechseln. Hoffentlich bekam er das nicht mit. Beleidigen will ich ihn nicht. Ich habe es einfach nur vergessen.
Im Bett lasse ich den Tag Revue passieren. Nun bin ich total fertig. Erst der lange Flug und dann die ganzen Ereignisse. Fest nehme ich mir vor, Morgen alles niederzuschreiben, um ja kein Detail auszulassen. Ach ja, Fotos habe ich natürlich auch gemacht, für meine Freunde daheim, damit sie wissen, dass ich weit ab von der Heimat und weit weg von daheim war.

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