Dienstag, 12. August 2014

Maras Welt (Tagebucheintrag Nr. 1)

Tagebucheintrag Nr. 1 
25.April 2012


Ein Schlimmer Tag



Wieder einer dieser blöden Tage. Dass es regnet, ist ja nicht so schlimm, meinst du! Wirklich nicht? Lass dich doch nass regnen bis auf die Haut, wenn es dich nicht stört. Ich mag das nicht. Nein, ich hasse es!
Warum musste ich nur meinen Schirm zu Hause liegen lassen? Wieso habe ich ihn nicht wie sonst auch vorsorglich in meine Tasche gepackt?
Weil du der Grund bist. Du bist schuld! Schuld an dem Wetter, an meiner schlechten Laune und an meiner Verzweiflung. Musstest du das denn machen? Mich mit Sara betrügen? Ausgerechnet mit der? Dieser Ollen -. Das nächste Wort schlucke ich hinunter und wische mir das Wasser aus meinen Augen. 
»Du verdammter ...«, brülle ich, was in einem Schluchzer endet. Mein Herz krampft sich zusammen und in mir spüre ich eine Leere, die ich seit dem Tod meiner Schwester nicht mehr gespürt habe. 
Und daran bist du auch schuld!, will ich schreien, doch mir fehlt die Kraft. Auf einer Steinmauer lasse ich mich nieder und starre in eine Pfütze, die sich auf der Straße gebildet hat. Die Lichter zweier Straßenlaternen spiegeln sich in ihr und lassen mich bizarr aussehen. 
Natürlich starren die Leute mich an, die an mir vorbeieilen, was erwarten die denn? Soll ich die zwei Blocks nach Hause laufen und so tun, als wenn nichts passiert wäre? Das kann ich nicht. 
Ich habe mich so gefreut, früher nach Hause zu kommen und mit Sven den Feierabend zu genießen, aber dann kam alles anders. 

Ich stieg in meinen blauen Ford Fokus, der einmal wieder erst beim dritten Startversuch startete, um dann einfach auszugehen und mir nicht den Gefallen tat, auch nur ein Geräusch von sich zu geben. So zwang dieser Wagen mich, mit den Öffentlichen zufahren, damit ich nach Hause kam. Das war im Gegensatz zu dem, was mich dann erwartete nur ein Ärgernis der harmlosen Sorte. Euphorisch stieg ich aus dem Bus und rannte bis vor dem Häuserblock, in dem die Wohnung liegt, in der Sven und ich wohnen. Ein altes Backsteinhaus bestehend aus fünf Etagen, das Erdgeschoss mit eingerechnet. Auf jeder Ebene gibt es drei Wohnungen und unsere liegt im ersten Stock. Einen Fahrstuhl gibt es nicht, aber das ist jetzt auch egal. 
Ich ging also die Treppe hinauf und schloss die Wohnungstür auf und platzte ins Wohnzimmer, wo ich verdattert eine Weile stand. Kein Sven weit und breit. Kopfschüttelnd ging ich in die Küche, die mir auch nur Leere bescherte. Allerdings erweckten zwei Sektgläser meine Neugierde. Warum zwei Gläser? Hatte Sven etwa Besuch gehabt, ohne dass er mir das mitteilte? 
Sekt? 
Keiner seiner Freunde trinkt Sekt, die saufen höchstens Mal einen Kurzen und natürlich Bier. 
Verunsichert sah ich mich um und beäugte skeptisch die leere Sektflasche. Asti?
Ich merkte, wie ich begann zu zittern. Was ging hier nur vor. Wo war Sven?
Beunruhigt betrat ich erneut den Flur und lief schnurstracks auf das Schlafzimmer zu. Meine Hand verharrte auf der Klinke, doch dann drückte ich sie herunter und riss die Tür auf. 
Bevor ich meinen Freund sah, erkannte ich Sara, die nackt, mit ihm, in unserem Bett, besser gesagt, auf ihm lag. Nichts wollte mir daraufhin einfallen. Plötzlich war mein Kopf leer und ich konnte nicht einmal mehr denken. 
Sven blickte mich entsetzt an und schob dieses Miststück von sich runter. 
»Es ist nicht das, wonach es aussieht, Mara«, sagte er heiser. 
Nein?, wollte ich schreien, doch mein Schock ließ mich verstummen. 

Wonach sieht es denn aus, wenn eine nackte Frau auf einem nackten Mann sitzt? Wonach, wenn nicht nach Sex? 
Tränen laufen mir über das Gesicht und mischen sich mit dem Regen. Ich habe mich so sehr auf den Abend mit Sven gefreut und nie daran geglaubt, dass er mich betrügen könnte. Unserer Beziehung bin ich mir sehr sicher gewesen und hoffte bis heute auf einen Antrag seinerseits. Jetzt zerplatz dieser Traum vor meinen Augen und ich stehe mit nichts da. Alles in nur einer Minute verloren. Langsam erhebe ich mich von der Mauer und wühle in meiner Tasche nach meinem Handy. In die Wohnung möchte ich nur noch einmal zurückkehren, um meine Sachen zu holen. Später. 
Völlig durchnässt rufe ich meine Eltern an und hoffe, dass sie mich aufnehmen, ansonsten weiß ich nicht, wohin ich gehen soll. 
Seit dem Tag, an dem ich meine Schwester in ihrer Wohnung im Bad gefunden hatte, habe ich meine Eltern das letzte Mal auf ihrer Beerdigung gesehen. Damals konnte ich ihr nicht mehr helfen, sie war schon tot, doch vor allem meine Mutter ist über den Tod von Melissa nicht hinweggekommen. Keiner gab mir die Schuld außer ich mir selbst. Früher hätte ich bei ihr eintreffen sollen, dann würde sie bestimmt noch leben. Ich hätte sie retten können. Nein, ich hätte sie retten müssen. Meine kleine Schwester Melissa. 

Mein Leben liegt in Trümmern vor meinen Füßen und mir fehlt die Kraft, diese Trümmer beiseite zuschaffen. Ich presse meine Lippen zusammen und schreie innerlich auf. In diesem Moment wird mir klar, dass ich die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren habe. 

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  Nun stehe ich hier. Im Raum der vielen Spiegel und ich weiß gar nicht, warum ich hier bin. Sieh dich an, sagten sie mir. Geh und sieh dich...